Umfragen zur Wahl lesen wir zur Zeit fast täglich. Das Rheingold-Institut für Marktforschung in Köln hat jetzt in zahlreichen tiefenpsychologischen Interviews zu erforschen versucht, welche Ängste, Sorgen und Hoffnungen die Menschen umtreiben und wie wahlentscheidend diese Stimmungslage ist. Es stimmte mich nicht gerade hoffnungsvoll, was der Psychologe und Institutsleiter Stephan Grünewald vergangene Woche als Ergebnis mitteilte:
"Keine Rettung in Sicht", so seine These. Im Blick auf die Vergangenheit findet er bei den Menschen Enttäuschung und Kränkungsgefühle, im Blick auf die Gegenwart Verunsicherung. Und bei der Frage nach der Zukunft vor allem Perspektivlosigkeit. In dieser Lage mache sich eine Sehnsucht breit nach dem "starken Mann", der schnelle Änderung verspricht. Friedrich Merz setzt auf dieses Pferd. Vielleicht weil es bei Trump schon so erfolgreich war. Die Enttäuschung nach der Wahl ist vorprogrammiert, so Marktforscher Grünewald, weil die großspurig versprochenen Besserungen gar nicht kommen können.
Interessanterweise sind es derzeit auch und gerade kirchliche Stimmen, die deutlich andere Töne anschlagen. Die um Gnade und Barmherzigkeit bitten (die Washingtoner Bischöfin Marianne Edgar Budde), die an die Tugend der Besonnenheit erinnern und das Maß der Menschenwürde stark machen (die kirchlichen Beauftragten Karl Jüsten und Anne Gidion in Berlin). Dass die Bibel ein "Buch der Flucht" ist, darauf hat der EKD-Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen in einem lesenswerten Buch aufmerksam gemacht. In der Jesusbewegung werden gerade die Fremden zu Nächsten. Und die Glaubwürdigkeit christlichen Lebens entscheidet sich daran, wie mit den Schwächsten, den Notleidenden, den Heimatlosen umgegangen wird.
Auch die Kirchen in Hessen, katholische Bistümer und evangelische Landeskirchen, haben in einer gemeinsamen
"Demokratie-Kampagne" zur Wahl die Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt in den Mittelpunkt gerückt. "Demokratie ist auch eine Frage von Menschenrechten" sagt die neue EKHN-Kirchenpräsidentin Christiane Tietz. Und fordert dazu auf, bei der Wahlentscheidung hinter die Wahlkampfpolemik zu schauen.
Man kann es in diesen Wochen gar nicht oft genug betonen.
Herzlich,
Lothar Bauerochse, hr Religion & Kirche